Oppenheims Skulptur zur Erinnerung an die hugenottischen Bewohner des Welschdorfs im Innenhof des Rathauses (Merianstraße 2)
Oppenheim war zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum Zufluchtsort für ausländische Glaubensflüchtlinge geworden. Am Fuße der Katharinenkirche, zwischen Schlossgasse und Rathaus, ließen sich ab 1609 aus Frankreich und den Niederlanden vertriebene Hugenotten im später so genannten Welschdorf nieder. Sie übten maßgeblichen Einfluss aus auf Oppenheims Wirtschaftsleben, aber auch auf die Entwicklung einer toleranten Gesellschaft. Als wohl bekannteste Vertreter dieser Migrantengruppe sind der Drucker und Verleger Johann Theodor de Bry sowie sein Schwiegersohn, der Kupferstecher Matthäus Merian zu nennen. Ihnen und ihren Frauen ist die Skulptur des Dorn-Dürkheimer Bildhauers Achim Ribbeck gewidmet, der sich im folgenden Text zu seinem Werk äußert.
Äußere Gegebenheiten
Skulpturtitel: Familie Merian – de Bry, 1617 in Oppenheim.
Schenkung des Lions Clubs Oppenheim an die Stadt Oppenheim – angenommen auf Vorschlag des Stadtbürgermeisters Marcus Held M.d.B. durch einstimmigen Stadtratsbeschluss vom 26. Februar 2014, übergeben und enthüllt am 15. Mai 2014. Initiative und Herstellungskoordination Dr. Carlo Servatius, Präsident 2013/14 des Lions Clubs Oppenheim.
Konstruktion des Stahlsockels Stahlbau Michael Hendrikson, Mainz. Bauliche Koordination Stadtratsmitglied Dr. Michael Thomä.
Künstlerische Entwicklung und Durcharbeitung in Untersberger Marmor Achim Ribbeck (Frankfurt und Dorn-Dürkheim) 2014.
Was stellt die Skulptur dar?
Fiktives Familienportrait auf der Grundlage mehrerer zeitgenössischer (teils Selbst-) Portraits und posthumer Kupferstiche sowie eines Gemäldes von Merians Sohn.
Welche Personen sind zu sehen?
1. Matthäus Merian – berühmter Kupferstecher und Drucker – mit Stichel in der Hand, am Kupferstich von Katharinenkirche und Welschdorf arbeitend;
2. der Verleger Johann Theodor de Bry, auch er Kupferstecher und Drucker, mit der Hand auf dem Kupferstich;
3. und 4. Mutter und Tochter de Bry, Letztere Ehefrau Matthäus Merians seit 1617; eine Fläche mit Verflechtungsveranschaulichung.
Erläuterungen zum Inhalt der Skulptur
Knapp vor Ausbruch des Dreißigjähren Krieges kooperieren der Kupferstecher Matthäus Merian und der Oppenheimer Verleger de Bry. Diese fachliche Verbindung wird besonders eng, als Matthäus Merian und die Tochter de Bry, Maria Magdalena, heiraten. Die Familie wird später groß. Bis 1619 leben und arbeiten alle zusammen in Oppenheim. De Bry verlegt die Werke führender Köpfe der Zeit. Nach dem Tod seines Schwiegervaters 1623 führt Matthäus Merian den Verlag (dann schon in Frankfurt) weiter. Das Familienportrait veranschaulicht die enge Zusammenarbeit in der Familie, hier in der Anfangskonstellation von 1617. Die Mutter ist vermutlich beteiligt. Die Tochter Maria Magdalena ist in ihrer zweiseitigen Verbindung zum Mann und zu den Eltern charakterisiert, indem sie beide beachtet.
Zur künstlerischen Motivation
Merian war als Kupferstecher und Tiefdrucker ein Vorgänger und Kollege von mir. Ich bin unter anderem Radierer und Tiefdrucker. Eine Portraitgestaltung unter starker Sympathie. Die gewissen Unterschiede zwischen „Stechen“ und „Radieren“ spielen dabei keine große Rolle. Unter den posthumen Portraits von Matthäus Merian, die meist auf das Basler Familienporträt seines Sohnes Matthäus Merian d. J. zurückgehen, werden manchmal seine ‚dämonischen‘ Züge verstärkt. Dies habe ich einfließen lassen. Merian schließt ein Auge. Er beobachtet außen scharf, aber gestaltet mit dem inneren Auge. Seine Gegenstände sind Weltgegebenheiten, Stadtansichten, historische Situationen usw. Sein Stich von Oppenheim ist besonders ausführlich und genau. Die Komposition des Beobachteten ist auch innere Arbeit des Künstlers.
Der Verleger in seiner enzyklopädischen Tätigkeit ist höchst respektabel verbunden mit der künstlerischen Arbeit.
Die Beauftragung für die Skulptur fiel bei mir in eine Phase der Beschäftigung mit dem Problem des beweglichen Blicks in der Skulptur. Die ambivalente Stellung der Tochter und Ehefrau, Maria Magdalena, war prädestiniert für eine Komposition, in der die wechselnde Rücksicht – oder auch Voraussicht – anschaulich angedeutet ist. Der Betrachter kann das negativ skulpierte Portrait der jüngeren Frau in ihrer Blickbewegung beobachten, wenn er sich vor dem Portrait seitwärts bewegt. In den Bewegungen des Haarpolsters ist die Verflechtung der Familie metaphorisch sichtbar, ebenso durch die Aktionen der Hände. Der Faltenkragen Theodor de Brys charakterisiert sparsam die Zeitstellung: Anfang des 17. Jahrhunderts.
(Autor: Achim Ribbeck, Dorn-Dürkheim, 9. Mai 2014)
Der Künstler
Achim Ribbeck (Hauptstr. 22, 67585 Dorn-Dürkheim, Tel. 06733-969021) zählt zu den profiliertesten Bildhauern, Malern und Graphikern in Rheinland-Pfalz; er war Lehrbeauftragter an der Uni Mainz, Paris-Stipendiat des Landes, 2012 Preisträger des renommierten Ike und Berthold-Roland-Preises. Ribbeck ist u. a. Mitglied der Pfälzer Sezession und der Frankfurter Künstlergesellschaft.
1944 | geboren in Bad Kreuznach |
1962-66 | Grafikstudium an der Werkkunstschule Mainz 1966-70 Abendgymnasium Mainz bis zum Abitur |
1970-76 | Studium an der Universität Mainz (Kunstpädagogik, Kunstgeschichte, Bildhauerei, seit 1973 Radierungen |
1977/78 | Lehrauftrag an der Universität Mainz im Fachbereich Kunsterziehung/Zeichnen |
1977-79 | Referendariat als Kunsterzieher an Gymnasien; nach dem Staatsexamen Ausstieg aus dem Lehrberuf |
seit 1979 | nur noch freiberuflich tätig als Bildhauer, Grafiker und Maler |
1980 | ausnahmsweise Lehrtätigkeit als Assistent an der Sommerakademie Salzburg (bei Prof. Kortokrax |
1978 | Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz für Bildhauer |
1980/81 | halbjähriger Paris-Aufenthalt (Stipendium von Land und Bund, Bildhauerwerkstatt in der Cité internationale des Arts) |
1990 | 2. Preis Plastik „Kunst und Künstler in Rheinland-Pfalz“, Höhr-Grenzhausen |
2012 | Preis der Ike und Berthold Roland-Stiftung |
2000 | Bildhauersymposion in der Gedenkstätte KZ Osthofen |
2003 | Bildhauersymposion in Sangerhausen/Sachsen, Skulptur „Hoffnungsträger“ |
2008 | Bildhauersymposion in Bingen, Skulpturen bei 529, Skulptur „Zweier ohne“ |
2012 | Einzelausstellung Worms, Museum Heylshof |
2014 | Einzelausstellung "Genauigkeit ist poetisch" als Intervention in der Abteilung Klassische Moderne Landesmuseum Mainz |
Arbeiten im öffentlichen Raum (Auswahl):
1987 | „Geometrie"” und „Ballspieler”, Helmholtz-Gymnasium und`Alter Exe`, Zweibrücken |
1988 | „Kugelschnitt”, LZB Kaiserslautern |
1990 | „Ball der Bälle”, Sporthalle Wolfstein |
1993 | „4 alte Menschen im Gespräch”, Altenpflegeheim St. Anton, Pirmasens |
1995 | „4 Badende”, LVA-Klinikbad, Bad Salzig |
1996/97 | „Wechselseitiges Gleichgewicht”, Diakonie-Anstalten Bad Kreuznach |
2000 | „Der Verletzte”, Gedenkstätte-KZ-Osthofen |
2007 | Mozart-Skuptur (Kirchheim-Bolanden) |
2009 | Evolutionssäule (Dorn-Dürkheim) |
2013/14 | temporäre Aufstellung zweier Großplastiken vor dem Mainzer Rathaus |